This piece won the Recognition Award 2010 from the Austrian Writers' Association.
13.01.2010 22:15 Uhr
13.01.2010 22:15 Uhr
Morgen, 19 uhr, schlosscafé?
13.01.2010 22:21 Uhr
Gut. Bis dann. Lg.
Die Reiter der Textapokalypse. Die Advokaten der Verballhornung, des Neologismus, der Kürzeln und Formeln. Er mochte den Klang, den meist vorhersehbaren und doch, in kleinsten Details, immer wieder überraschenden Inhalt, die Art und Weise der Transmission: ein Piepen, Summen, Vibrieren, je nach Lust und Laune, ein bis zwei gekonnte Griffkombinationen auf dem Telefon (eine notwendige Zeitspanne, in der die Antizipation ins Unermessliche steigen soll. Bei ihm tat sie es immer, selbst während der profansten Konversation), ein schnelles, flackerndes Aufblitzen und – da war sie, die Kurznachricht. Banause, wer das Poetische Potential des Short Message Service, das PP der SMS, nicht zu erkennen bereit war.
14.01.2010 19:02 Uhr
Sorry, ich verspäte mich. Stau. Bestell ohne mich.
14.01.2010 19:09 Uhr
Ist doch nicht meine schuld. Sei froh, dass ich komme.
14.01.2010 19:11 Uhr
Du mich auch. Ich komme nicht mehr. Melde dich, wenn du dich abgeregt hast.
Die SMS war, den Stereotypen nach, ein männliches Kommunikationsmittel, trotz oder, oh Absurdität, wegen ihrer grammatikalischen Weiblichkeit. Sagte man nicht ihm, einem Mann, nach, wortkarg, rational handelnd, bedächtig, kurz gesagt, auch ohne digitalen Zwang auf hundertsechzig Zeichen beschränkt zu sein? Andere Kommunikationsmittel, man denke nur an das Telefon, mit der geliebten SMS so untrennbar verbunden, tolerierten diese Art der Beschränktheit, was Worte oder Laute betraf, kaum. Das Telefon, eigentlich ein Neutrum, war durch und durch weiblich und launisch. Direkte Emotionen, ungefiltert durch den klärenden Äther, den die SMS durchkreuzen muss, ungehemmt durch Eingangsbestätigungen, Abruftasten und physische Anstrengung der Extremitäten, unbekannt mit der narrativen Distanz. Das Telefon lässt einem die Zeichen, die man aussendet, ob Buchstaben oder versteckte Intentionen, nicht lesen, nicht mehr revidieren, verstärken oder abschwächen. Keine „Löschen“-Taste, kein nachträgliches „Entschuldigung, ich vertippte mich“. Unbarmherzig und unüberlegt, ganz anders als die immer besonnene, unmissverständliche, präzise SMS.
14.01.2010 20:18 Uhr
Heute nicht. Bin müde.
14.01.2010 20:24 Uhr
Keine Lust. Treff dich mit Gerda.
14.01.2010 20:29 Uhr
Tut mir leid. Nächste woche vielleicht.
14.01.2010 20:38 Uhr
Lass mich in ruhe. Ich gehe schlafen.
14.01.2010 20:44 Uhr
Du spinnst ja. Ich kann nichts dafür. Hör auf damit.
Solcherart ausgetragene Auseinandersetzungen erhielten eine seltene Leichtigkeit. Die Härte und Lautstärke der menschlichen Stimme, die träge Ausdehnung ganzer Sätze, Paragraphen und Abschnitte, das angestrengte Durchforsten und Überblättern unangebrachter Hintergrund- und Zusatzinformation, Referenzen zu Vergangenem und Zukünftigem, all das gab es im, laut Karmasinstudie, bevorzugten Kommunikationsmittel der nächsten Generation, nicht. Schöne, neue, kurze Welt, malerisch begrenzt durch hundertsechzig Zeichen. Der einzige Druck war jener der tippenden, über die winzigen Tasten oder den Touchscreen fliegenden Daumen. Ansonsten schien alles weit weg, luftig und distanziert. Zeit zum Atemholen, und dabei doch so direkt und unverfroren. Die SMS bot sich deshalb, mehr als jedes andere Mittel zur Kontaktaufnahme und -aufrechterhaltung, dem Bösen an.
15.01.2010 16:39 Uhr
Ich weiß nicht, ob das eine gute idee ist.
15.01.2010 16:45 Uhr
Na gut. Hab aber nur 1 stunde zeit. Wann? Wo?
15.01.2010 16:54 Uhr
Ok, um halb 11 bei der brücke.
15.01.2010 16:59 Uhr
Bis dann.
Auch war es gut, dass man nicht auf die Groß- und Kleinschreibung achten musste. Der erste Buchstabe eines Satzes, nach einem Punkt oder Fragezeichen oder gar Rufzeichen, wurde von seinem Programm automatisch groß dargestellt. Alles andere, so wollte es der latente, immer geltende Kodex, blieb klein. Nur seine Mutter, Deutschlehrerin i.R., weigerte sich, die für sie unter größter Anstrengung eingegebenen Lettern in ihrer natürlich aufkommenden Form zu belassen. Für alle anderen schien es durchaus befreiend, die phallischen Anwandlungen der deutschen Sprache, ihren perversen Drang nach Größe und Aufgeblähtheit, sanktionsfrei ignorieren zu dürfen. Nicht nur in orthografischer Hinsicht fällt durch die wortwörtliche Kurznachricht eine Menge Druck von unsereins, dachte er versonnen.
15.01.2010 22:29 Uhr
Bist du schon da?
15.01.2010 22:39 Uhr
Kommst du zu spät? Ich warte bei der brücke.
15.01.2010 22:50 Uhr
Herbert? Wo bist du?
15.01.2010 23:01 Uhr
Es ist kalt. Wenn du in 5 minuten nicht da bist, gehe ich.
15.01.2010 23:04 Uhr
Bist du da auf der anderen seite? Ich stehe in der mitte. Was machst du dort drüben?
15.01.2010 23:14 Uhr
Hör auf mit dem Scheiß, du machst mir keine angst. Komm jetzt her. Sonst gehe ich.
15.01.2010 23:27 Uhr
Herbert???
Und wenn Mann eine SMS nicht mehr wollte, vor allem nicht mehr sehen wollte, wurde sie gelöscht. Die rote Taste drücken, bis der ganze Nachrichteneingang leer gewischt war. Wählen löschen wählen löschen wählen löschen wählen löschen wählen löschen wählen löschen wählen löschen wählen löschen wählen löschen wählen löschen wählen löschen. Anders als beim Telefon, dessen schreiendes Echo von scheinbar überall her zurückgeworfen wird, und scheinbar bis in alle Ewigkeit, bis ins Unerträgliche, nachhallt.
No comments:
Post a Comment