Tuesday, July 28, 2015

Er da. Eine Geschichte.

A short story published in Radieschen: Zeitschrift für Literatur No. 14/2010.  

Es war letzten Frühling gewesen, als ich Max kennen lernte. Wir waren uns zwar kaum auf Anhieb sympathisch, aber irgendetwas, und mochte es die Lagerfeuerromantik oder der Alkohol gewesen sein, veranlasste uns schließlich dazu, uns längere Zeit zu unterhalten. Es war eines dieser unzähligen Studentenfeste Ende Mai unter freiem Himmel und mit unerträglicher Musik, die dennoch ihren Zweck erfüllte, da sie mich nur ungefähr jedes dritte Wort von Max verstehen ließ. 
„ - - an der - - Wien - - Interessen - - tanzen?“ 
Ich nickte vage, was ihm zu gefallen schien. Es stellte sich heraus, dass wir uns für den nächsten Tag verabredet hatten, da Max zum Zwecke der Hochzeit seiner ältesten Cousine einen Tanzkurs belegen musste, ihm dazu aber noch die geeignete Partnerin fehlte. 

Es folgt eine kurze Unterbrechung. Für diesen Zweck würde ich Sie bitten, vorübergehend Ihr sicherlich beachtliches Wissen über Narratologie auszublenden und zur Abwechslung nur mal schnell zu lesen, was die Autorin schreibt und nicht die, unter uns gesagt nur bedingt sympathische, Erzählerin. Es mag übrigens von Vorteil sein, dass Sie nun mein Geschlecht kennen. Ich denke gerade daran, dass Sie deshalb, abhängig von Ihrer individuellen Prägung, unverhältnismäßig viele oder wenige Phallussymbole im Text entdecken werden. Ich lächle jetzt übrigens, so wie Sie. Wir verstehen uns also. 

Lassen Sie uns deshalb ehrlich sein: Sie fanden den Einstieg ein wenig kitschig. Ich stimme zu, schon allein weil ich weiß, dass heutzutage die Autorität ohne Zweifel bei der Leserschaft liegt. Sie sollten aber wissen, dass das Folgende eine wahre Geschichte ist. Ich, die Autorin, erzähle jetzt von mir und werde mich deshalb und schon allein der Einfachheit halber der ersten Person bedienen. Daher ist es unabdinglich, dass Sie alles, was Sie jemals über den autobiographischen Pakt und Theorien der Fiktion gelesen haben, vergessen. Verstehen Sie mich nicht falsch, nichts liegt mir ferner, als Sie in Ihrem Textverständnis zu bevormunden, Sie wissen natürlich, wie eine Geschichte funktioniert. Aber um genau zu sein ist das hier keine ebensolche, weil alles wirklich so passiert ist. Erinnern Sie mich daran, dass ich Ihnen am Ende Max’ Nachnamen und seine Anschrift verrate, er wird Ihnen gerne alles bestätigen. 

Na gut, eigentlich hieß er Florian. Macht der Gewohnheit, Entschuldigung.

Florian war eigentlich ganz ansehnlich. Er hatte hellblondes, leicht gelocktes Haar und eine bronzefarbene Haut, wie man sie von Surfern kennt. Ich hatte nicht verstanden, was er studierte. Später stellte sich heraus, dass es etwas mit Wirtschaft war, ich interessierte mich nicht dafür. Wir waren für den nächsten Abend in einer ziemlich vornehmen Tanzschule verabredet, aber natürlich wusste ich das nicht. Ich wusste, um genau zu sein, auch nicht mehr, dass ich Florian am Vortag überhaupt getroffen, geschweige denn, ihm meine Nummer gegeben hatte. Dementsprechend überrascht war ich, als am nächsten Tag eine SMS mit „Wo bist du?“ auf meinem Handydisplay aufblinkte. 

Nach schier endlosem Hin- und Hergetippse begriff ich endlich, wer warum nach mir verlangte. Florian schien nicht sonderlich verärgert über meine vergessene Zusage, da ihn das Tanzen wahrscheinlich ohnehin genervt hatte und er nur froh war, schlussendlich doch keine willige Partnerin gefunden zu haben. Auf unsere Verabredung bestand er dennoch, und da ich mich nun langsam wieder daran erinnerte, dass ich ihn gestern dann noch ganz ansprechend gefunden hatte, war ich zu einem Alternativprogramm bereit. 

Eine knappe halbe Stunde später klingelte es auch schon bei mir, und ich öffnete einem unverschämt gut aussehenden Florian in Anzug und lässig geöffneter Krawatte die Tür. Ich versuchte, nicht an meine zerrissene Jeans und das Loch in meiner linken Socke zu denken und begrüßte ihn mit einem wie ich meinte strahlenden Lächeln, das er noch strahlender erwiderte. Während der Liftfahrt ins Erdgeschoß versuchte ich so weit wie möglich zu vermeiden, ihn anzustarren. Ich hatte ihn bei Weitem nicht so attraktiv in Erinnerung. Als wir auf die Straße traten, wandte ich mich gewohnheitsmäßig nach links gen U-Bahnstation, doch er ergriff meine Hand und zog mich in die entgegengesetzte Richtung. Erst jetzt bemerkte ich die weiße Stretchlimousine, die wenige Meter von meinem Hauseingang entfernt parkte. Als wir näher kamen, sprang plötzlich die Fahrertür auf und ein beleibter Herr in Uniform und Chauffeurkapperl schälte sich aus dem Sitz, rannte um das halbe Auto herum und öffnete uns mit den Worten „Bitte sehr, königliche Hoheit“ die Tür.

Warum zweifeln Sie plötzlich an meiner Aufrichtigkeit? Ist es, weil Sie den Film gesehen haben oder weil Florian zu sehr nach modriger Rüstung und weißem Pferd duftet? Ist ja gut. Aber ich ersuche Sie, mich nicht vorschnell zu verurteilen. Zumindest könnte es rein hypothetisch tatsächlich passieren, die Wirklichkeit pflegt seltsamer zu sein als die Fiktion, nicht wahr. Denken Sie sich also die Sache mit dem Anzug und der Limousine und dem luxemburgischen Fürsten als Vater weg. Und von mir aus auch die blonden Haare und die bronzefarbene Haut. Wie gesagt, eine schlechte Angewohnheit. Florian gibt es aber wirklich und immer noch, nur halt mit Geheimratsecken und Backenbart. Tatsächlich war es also so (Sie erlauben die dritte Person, es objektiviert). 

Judith und Florian trafen sich bei einem Studentenfest Ende März unter freiem Himmel und mit unerträglicher Musik, die die Pausen zwischen den einzelnen Gedichtvorträgen füllen sollte. Letzteres gab den Anstoß für ihr Kennenlernen, denn Florian verstand viel von Lyrik, arbeitete er doch neben seinem Studium der Japanologie als Redakteur einer Literaturzeitschrift. Zudem stellte sich heraus, dass er auch selbst an Poetry Slams teilnahm und Lesungen organisierte. Judith konnte im Halbdunkeln und beschallt von der unerträglichen Musik schwer beurteilen, ob das der Wahrheit entsprach oder er ihr nur imponieren wollte, immerhin war es ein Studentenfest mit Alkohol und Kuschelecken. 

So oder so, sie musste kontern. Zwar hielt sich Judiths literarischer Erfolg in überschaubaren Grenzen, aber zumindest ihre nähere Verwandtschaft hatte ihr nach dem letzten Gedicht zu Tante Mitzis Achtziger enormes Talent bescheinigt. Florian reagierte ähnlich begeistert, als sie ihm die leicht beschönigte Version ihrer lyrischen Ambitionen darbot. Ob sie denn auch Prosa verfasste? Sie nickte vage und nahm noch einen kräftigen Schluck aus der Bierflasche. 

Florian schien das als Zustimmung zu deuten und erzählte ihr von der Literaturzeitschrift, wovon sie aber aufgrund der unerträglichen Musik wieder nur die Hälfte mitbekam. Sie nickte unbestimmt vor sich hin, was ihm zu gefallen schien, denn er schenkte ihr ein breites Lächeln, das unbeschreiblich süße Grübchen in sein Gesicht zauberte. Eigentlich war er ganz charmant. Nun beugte er sich ein wenig nach vor, drückte ihr eine Karte in die Hand und flüsterte ganz nahe an ihrem Ohr, dass er als Redaktionsmitglied großen Einfluss auf die Textauswahl habe und sich schon sehr auf ihren Beitrag freue. Das „e“ in „sehr“ zog er dabei so unverschämt in die Länge, dass ihr ganz schwindlig wurde. Sie nickte benommen und stammelte, dass er auf sie zählen könne. „Na, dann bin ich ja mal gespannt…“, meinte er zwinkernd, bevor er aufstand um Ihnen noch zwei Bier zu besorgen. Sie starrte ihm versonnen nach, als er sich den Weg zur Theke bahnte.

Glauben Sie nicht? Fragen Sie Florian. Kommen Sie aber bitte gar nicht erst auf die Idee, ihn nach weiteren Details des oben beschriebenen Treffens zu löchern, er ist schließlich Redaktionsmitglied. Ich selber möchte mich dazu auch nicht mehr äußern. Sie haben natürlich Recht (bin ich eine jener Autorinnen, die zu viele Zugeständnisse an das Publikum machen?), dieser Text sollte niemals als ordentliche Geschichte durchgehen. Womit ich Sie keineswegs davon abhalten möchte, Obiges nach Symbolik und Thematik zu durchkämmen. Zudem, ist es nicht Goldes wert, Teilnehmer eines literarischen Experiments sein? Ich wusste, Sie würden es verstehen. 

Da ich Sie nun aber leider um Ihren wohlverdienten literarischen Genuss gebracht habe, erlauben Sie mir, Ihnen als kleine Aufwandsentschädigung zumindest das gute alte Happy End der Geschichte, die sie mitnichten ist, anzubieten: Florian und ich… naja, Sie wissen schon.

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