Thursday, July 9, 2015

Frühling

A short story (in German) written in 2011 - I decided to leave it unedited and unaltered.

1: Alarm
Angestrengt starrte sie ins Halbdunkel. Als der Wecker schließlich läutete, war Julia schon lange wach. Widerwillig setzte sie sich auf und nahm einen Schluck aus der Wasserflasche, die immer griffbereit neben ihrem Bett stand. An Tagen wie diesen konnte sie nie besonders gut schlafen, das lag, wie ihre Mutter immer zu sagen pflegte, bestimmt am Mond. Da träumte sie von den Labradorinseln, und schon fragte sich ihr richtiges, ungeträumtes Ich, ob sie den Hund gefüttert hatte. Dann wieder von der japanischen Kirschblüte, und schon musste sie jäh aus dem Bett springen um nachzusehen, ob sie die Geranien über Nacht zugedeckt hatte, die waren halt so empfindlich. Träge schwang sie sich den Morgenmantel um die Schultern und schlürfte ins Badezimmer. Sie hasste Tage wie diese. Während sie sich die Zähne putzte, rot weiß rauf runter, machte sie Kniebeugen, um den Kreislauf in Schwung zu bringen. Eins, Zwei. Drei, Vier. Ihre Mutter schwor seit Jahrzehnten auf Morgengymnastik. Fünf, Sechs, Sieben. Sie zog sich an und verließ die Wohnung.

2: Neckereien
„Hallo, Julia! Sag mal, wo bist du mit deinen Gedanken, gehst einfach so über die Straße, ohne links oder rechts zu schauen, das ist ja fahrlässig, wenn da irgendjemand…“ Es war „Ingrid, hab dich gar nicht erkannt, gut siehst du…“ „ausnahmeweise doch nur! Gestern hat mich mein Chef gefragt, ob ich was machen hab lassen, weil ich so“ Schön ist das aber „Nicht wahr?“ Total „Toll!“ Ingrid schien es zu gefallen, ihre Gedanken zu vollen „den sollte ich einfach ignorieren, so ein Feigling.“ Wie in dem Film wo Cameron Diaz und Johnny „Depp, ein richtiger Vollidiot. Du weißt ja, von nichts kommt“ nichts mehr, genug gehört. Wie spät „ist es dann bald soweit? Denn jetzt“ ist das wirklich nicht mehr lustig, lass uns etwas anderes „spielen doch alle nur miteinander, der reinste Sittenverfall!“ Der Witz „ist auch nicht mehr der jüngste. Und bei diesem Lebensstil, also nein, da hat er nicht mehr viel von seinen Enkeln.“ Hm. „himmlische Himbeertorte mit Sorbet, köstlich! Dafür ein“ Kompli „mental total gestresst. Aber sehen wir uns denn noch vor Ostern?“

3: Handlung
Julia blinzelte in die noch schwache Morgensonne. Sie atmete tief ein, sog das ganze frische fröhliche Morgensonnegefühl auf. Auf der anderen Straßenseite befand sich ihre Lieblingscafeteria, ein Espresso würde sich jetzt noch schnell ausgehen. Sie betrat das Lokal, grüßte, und sah sich nach einem freien Platz um. Als sie sich an den kleinen Ecktisch in der hinteren Hälfte der Cafeteria niederlassen wollte, fiel ihr durch eine hastige Bewegung das Schaltuch von der Schulter. Sie bückte sich um es aufzuheben, und stieß unversehens mit einem Mann zusammen, der gerade im Begriff war, das Gleiche zu tun. „Verzeihung, ich wollte Ihnen nur…“ „Kein Problem, meine Schuld…“

4: Alternativen
Frisch wie der Morgentau fühlte sich das klare Quellwasser an. Julia ließ den Morgenmantel von ihren zarten Schultern gleiten und tauchte ein ins erquickende Nass der Wanne. Sofort wurde sie von einer Woge der Wärme und Zartheit umhüllt. Der Badeschaum liebkoste ihre elfenbeinerne Haut.

5: Transaktion
09:12 Uhr
Wo bist du?

09:16
Beeil dich. Er hat schon nach dir gefragt.

09:20
Hat er nicht gesagt. Bin ich deine mutter? Kümmer dich doch selbst darum!

09:23
Bis dann. Lg.

6: Zeitvertreib
Erschöpft ließ sie sich an ihrem Schreibtisch nieder und fuhr gedankenverloren den PC hoch. Sabine war bereits im Büro und hatte wie erwartet schon die üblichen zwei Tassen Espresso intus, die sich sofort bemerkbar machen würden. Drei, zwei, eins. „Meine Liebe, ich will ja nun nicht die Einserschülerin spielen, aber der Chef meinte gestern auch, dass das, was du da abgeliefert hast, nicht gerade deine beste Arbeit war.“ Julia nickte stumm. Im Grunde konnte sie nur zustimmen. In letzter Zeit fiel es ihr wirklich immer schwerer, sich auf ihre Aufgaben zu konzentrieren. Die meisten Texte verfasste sie wie in Trance, nur selten noch gelang ihr eine Story wie zu Beginn ihrer Karriere. Das lag am Mond, natürlich, Mutter, vielleicht aber auch an – Sie öffnete ihren Mailordner, der wie erwartet überquoll.

7: Strömungen
Do you want to enlarge nein danke nicht auszuhalten gleich mal löschen löschen löschen löschen löschen löschen löschen löschen was ist das löschen kenn ich nicht löschen egal löschen wer schreibt denn hier sehr geehrte löschen aha eine Einladung lade zu meinem Geburtstag ein antworten danke bin leider verhindert löschen ach was will der denn bitte kann kaum erwarten dich wieder zu sehen oh mein Gott löschen oder doch antworten ich dich auch nicht okay aha was machst du gerade na der hat Nerven ich sitz im Büro soll ich jetzt schreiben ich liege in der Badewanne haha wo ist denn jetzt dieser Ordner ich bräuchte echt einen Espresso einen heißen Ingrid war heute wieder furchtbar angezogen dieses neongrüne Schaltuch ein Graus wer weiß ob sie noch ihren Labrador was ja das muss der Mond sein zum Glück ist Sabine beim Chef will eh nicht wissen was die dort immer macht

8: Rekreation
Stefan trat nach ihr in den Kopierraum. Er stellte sich dicht hinter sie, so dicht, dass sie seinen Atem im Nacken spüren konnte, trotz ihres dicken Pferdeschwanzes. Sie presste sich näher ans Kopiergerät und konzentrierte sich scheinbar bis ins Unermessliche in die vor ihr liegenden Akten. Ohne von ihrem missglückten Versuch von Desinteresse auch nur die geringste Notiz zu nehmen, ließ Stefan seine Hände über ihren Rücken gleiten. Sie blieben einen Millimeter vor ihrer Poritze stehen. Sie atmete heftiger, die erste Kopie schon missglückt. Er presste sich nun ganz fest von hinten an sie, sie spürte seinen erhitzten Körper durch den dünnen Stoff ihres Kleides. Sie wirbelte herum, stieß ihre Zunge in seinen Mund und drückte ihn dabei rücksichtslos gegen die Wand. Ihre Zunge wanderte in seinen Nacken, ihre Hände über seine Brust zu seinem Bauch und darunter. Ihre Brüste schmerzten vor Spannung und Lust, als er ihr über die Schenkel strich und ihr Höschen abstreifte. Alles an ihr schrie und plärrte. Sie zog ihn zu sich.

9: Halbzeit
Sabine war noch immer beim Chef. Der Mailordner noch immer voll. Ihr Bauch dafür noch immer leer, hie und da sanft knurrend. Der Espresso noch immer brühend heiß. Das Wetter noch immer sonnig, die Bauarbeiten am Eissalon an der Ecke noch immer laut, das Mittagsmenü in der Kantine noch immer nicht vegetarisch. Die Donau noch immer nass, die Jahreskarte für das englischsprachige Kino noch immer eine tolle Geschenksidee, die Heizung noch immer kaputt. Der Fleck auf Stefans Hemd noch immer da, die Außenmauer noch immer feucht, ihre Mutter noch immer allwissend. Die Druckerpatrone noch immer leer, der Nahostkonflikt noch immer ungelöst, die Enden der Schuhbänder noch immer namenlos. Die Steuern noch immer zu hoch, ihre Badewanne noch immer defekt, die Erderwärmung noch immer ein Graus. An Tagen wie diesen war alles beim Alten.

10: Neues
Stefan Haslinger ist jetzt in einer Beziehung mit Sabine Thiel. Ingrid Steiner und 7 anderen Personen gefällt das.

11: Aufbruch
Der Hund vom Eissalon um die Ecke war ein großes, schwarzes Vieh mit knallrosa Zunge, aber laut Besitzerin sanftmütig wie ein Osterlamm. Betont lässig trat sie an die Theke und bestellte drei Portionen Bananensplit zum Mitnehmen, eine für sich, eine für Sabine und eine für Stefan. Beim Hervorkramen ihrer Geldbörse aus der vollgestopften Handtasche hatte sie wohl eine hastige Bewegung gemacht, sodass ihr Schaltuch zu Boden fiel und dabei den faul in der Nachmittagssonne dösenden Labrador in der Nase kitzelte. Jäh sprang er auf und riss das Tuch mit einem einzigen Hieb seiner gewaltigen Pranke entzwei. Die Kellnerin schien davon keine Notiz zu nehmen, war sie doch in die kunstvolle Garnierung der drei Bananensplits versunken. Der Hund erkannte nun den feinen Lavenderduft des Schaltuches an Julias Kleid wieder und schnupperte eifrig daran. Seine raue Zunge leckte zögernd an ihren nackten Beinen, während die gelblichen Fänge im Neonlicht der Eistruhe blitzten. Geistesgegenwärtig ergriff Julia die brühend heiße Tasse Espresso vor ihr am Tresen und schleuderte sie dem Tier ins Antlitz. An Tagen wie diesen galt es nicht lange zu fackeln.

12: Rituale
Der Hund vom Eissalon um die Ecke war ein lieber, leider halb erblindeter Dackelmischling, dem sie gerne mal ein paar übrige gebliebene Wurstränder mitbrachte. Die Kellnerin hatte die beiden Bananensplits bereits an ihrem Lieblingsplatz in der hinteren Hälfte des Lokals bereit gestellt, zusammen mit einer brühend heißen Tasse Espresso. 

13: Abgang
Sie sind entlassen. Stefan ist jetzt in einer Beziehung mit Sabine. Sabine ist jetzt in einer Beziehung mit Ingrid. Stefan ist jetzt in einer Beziehung mit 7 anderen Personen. Eine Story wie zu Beginn. Das Wasser in der Wanne ist noch immer nass. Ihre Mutter kennt den Mondkalender. Sie haben eine neue Nachricht. Eine neue Story. Julia ist jetzt in einer Beziehung mit Bananensplit. Das Schaltuch fällt von der Schulter. Fünf Bananensplit an der Theke, bitte zu Tisch. Es braucht eine Story wie damals. Löschen löschen löschen löschen löschen löschen löschen löschen löschen löschen löschen löschen löschen löschen löschen löschen löschen löschen löschen löschen löschen. Es fällt. Noch immer kein vegetarisches Mittagsmenü. Noch immer beim Chef. An Tagen wie diesen ist der Labrador lammfromm. Keine hastigen Bewegungen. Keine neonfarbenen Schaltücher. Espresso auch zum Mitnehmen. Der Kopierraum ist besetzt. Es wird fallen fallen fallen.

14: Ausstieg
Angestrengt keuchte sie ins Halbdunkel, bis sich ihr Puls widerwillig normalisierte. Sie nahm einen Schluck aus der Wasserflasche, die immer griffbereit neben ihrem Bett stand, und rollte sich aus dem Bett. Stefan neben ihr atmete gleichmäßig weiter, an Tagen wie diesen schlief er immer besonders tief. Sie schwang sich den Morgenmantel um ihre zarten Schultern und ließ die Wanne volllaufen.

15: Dämmerung
Angestrengt lauschte sie ins Halbdunkel. Sie nahm einen Schluck aus der Wasserflasche, die immer griffbereit neben ihrem Bett stand, und versuchte weiterzuschlafen. Am Tagen wie diesen war sie schon lange wach, bevor der Wecker schließlich läutete. 

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